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Kosmos
Stahl, Kupfer, Papier
hansschuele.de
Natur und Technik
in den Arbeiten von Hans Schüle
Das Befremdliche an Nähe ist die Distanz, die sie zu den Dingen aufbaut. Nicht anders verhält es sich mit den beiden Werkgruppen "hybride" und "membrane", in denen Hans Schüle den mikroskopischen Blick auf natürliche Strukturen und Lebensformen in zum Teil monumentale Skulpturen transformiert, die uns auf eigentlich befremdliche Weise in äußerste Distanz zu jedweder Form von Natur bringen. Denn die Skulpturen gewähren keinen Einblick in naturanaloge Strukturen, sondern generieren einen ausschließlich artifiziellen Kontext, in dem zwar eine formale Reminiszenz an Zellstrukturen und Membranen anklingt, in dem aber technoide Formen deutlich dominieren. Zum einen resultiert das aus Schüles bevorzugtem Werkstoff Metall, zum anderen aus der Nutzung industriell genormter Produkte, wie z.B. von Rohrabschnitten bei der Gruppe "hybride". Aber auch die Art der Verarbeitung, das Addieren von Kreis um Kreis zu einem Netz, läßt an Gewebe und Zäune zur sichtbaren Trennung denken, ebenso wie an Molekülmodelle, die wir entwickelt haben, um stattdessen dem Unsichtbaren eine nachvollziehbare und dennoch abstrakte Sichtbarkeit zu geben.
Bereits seit einigen Jahren arbeitet Hans Schüle in dieser additiven Weise mit formal reduzierten und schweren Metallelementen, die er zu Netzwerken verschweißt, übereinander schichtet oder tableauhaft in die Fläche ausweitet. Trotz der Erinnerung an maschinelle Zusammenhänge, an Überreste aus der industriellen Produktion und nur schwer bewegliche technische Formen, entstehen in der Addition Körper und Volumina von äußerster Leichtigkeit. Sie entwickeln ein scheinbares Eigenleben im Raum und versuchen, sich diesen gewissermaßen zu erobern. Einzelne Objekte bleiben am Boden, andere erwecken den Eindruck, als hätten sie sich nach erfolgreicher Zellteilung selbständig gemacht und klebten an Wänden und Decken. Die einfache Netzstruktur der Arbeiten und ihre freie organische Form legen die Multiplizierung nahe, eröffnen dem Bildhauer die Möglichkeit, sich gewissermaßen malerisch-installativ im Raum zu bewegen und lokale Fixierungen der Skulptur zu durchbrechen.
Die zweite Gruppe der hier vorgestellten Arbeiten kehrt dieses Prinzip vollkommen um, in dem gerade die offene Struktur der "hybride" durch hermetische und schwere Volumina kontrastiert ist, die in sich abgeschlossen deutlicher unseren Vorstellungen vom Wesen der Skulptur entsprechen.
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Curriculum (Link)
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Interessanterweise bestehen die "membrane" im Gegensatz zu den "hybriden" aus dem leichteren Material, aus Kupferblechen, die über gebogene Laschen und Nieten fixiert sind. Unweigerlich erinnert nicht nur die Materialverarbeitung der Skulpturen, sondern auch deren Form an Schiffsrümpfe und schweres technisches Gerät. Doch auch hier bleibt die Analogie zur Technik nur vager Verweis, denn die "membrane" stellen ebenso deutlich wie die "hybride" Bezüge zu natürlichen Formen her, spielen gleichermaßen mit Anklängen an Amöben und einfache Zellformationen.
In der Verarbeitung der Bleche entwickeln die Körper äußerst sensible Rundungen, geht Schüle trotz der Nietungen so behutsam ans Werk, als hätte er es mit organischen Strukturen und natürlichen Häuten zu tun. Skulpturale Form und die grafisch wirkenden, eng beieinander liegenden Nieten gehen so gewissermaßen in der Analogie zu biologischen Strukturen auf.
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In dieser behutsam distanzierten Verbindung technischer Metallverarbeitungsweisen und natürlichen Formvokabulars liegt die Besonderheit von Hans Schüles Arbeiten. Er entwickelt nie einen erzählerischen Kontext, sondern bleibt immer in gebührlichem Abstand zu den Ausgangspunkten seiner Skulpturen und Objekte. Natur und Technik werden zwar gleichermaßen aufmerksam wahrgenommen, aber nie inhaltlich thematisiert, sondern ausschließlich abstrakt behandelt. Deutlich werden aber sowohl die Faszination für die Möglichkeiten technischer Verarbeitung, wie das Wissen um die grundlegende Kohärenz zwischen natürlichen Strukturen und ihrer technischen Umsetzung, beispielsweise in der Bionik für Erfordernisse der Architektur und Industrie.
Schüles Arbeiten weisen ihn nicht nur als differenzierten Beobachter solcher wechselseitiger Bedingungen aus, sondern zeigen seine Meisterschaft in der aktuellen künstlerischen Umsetzung des Beobachteten.
Ralf F. Hartmann
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